Soziale Durchmischung in Hamburg und Lörrach

Das Ideal der sozialen Durchmischung aus der Gründerzeit soll in Hamburg jetzt auf die extreme Art in die Tat umgesetzt werden. In Harvestehude an der Sophienterrasse, also inmitten von Luxusimmobilien, soll ein Asyl- und Obdachlosenheim entstehen.

Sozialgefälle extrem

Asylbewerber und Obdachlose sollen in Hamburg also nun genau dort unterkommen, wo Karl Lagerfeld Edelimmobilien designt hat, die Quadratmeterpreise ab 7.000 Euro erzielen. In der teuersten Meile der Stadt, nahe der Alster, werden also künftig die Ärmsten der Armen leben. Ob das ein kluger politischer Schachzug in einer ohnehin von sozialen Spannungen geprägten Atmosphäre ist, wird sich zeigen.

Gegen Gettobildung

Hamburg

Marlies Schwarzin / pixelio.de

Der für Wohnungsbau zuständige Staatsrat in der Baubehörde Hamburgs sagt klar und deutlich, dass er Sozialwohnungen nicht nur dort haben möchte, wo die Armen eh schon wohnen. Michael Sachs formuliert damit ein Ideal als politischen Willen, das aus der Gründerzeit stammt. Damals wollte man verschiedene Schichten gemeinsam unterbringen, um sozialen Monokulturen vorzubeugen. Arm und Reich sollten nicht durch Mauern oder Zäune voneinander abgegrenzt werden. Im Berlin des 19. Jahrhunderts wurde diese Vorstellung durch den damaligen Stadtbaurat James Hobrecht in die Realität umgesetzt, von dem die Idee der sozialen Durchmischung stammt. Er stellte die Hinterhöfe den Arbeitern und die Vorderhäuser den Bürgern zur Verfügung. Die Beletage war den Begüterten vorbehalten, unter dem Dach und im Souterrain wohnten die Minderbemittelten. Als Wunschbild geistert diese Art des sozial durchmischten Wohnens immer noch in den Köpfen mancher Politiker herum. Und auch ein großer Teil der Bevölkerung teilt diese Idealvorstellung. Zumindest in Deutschland.

Hamburgs Sozialdurchmischung als deutsches Phänomen

In Europa wird das Ideal vom Miteinander bei weitem nicht von allen Völkern geteilt. Zur gleichen Zeit wie die Veröffentlichung der sozial durchmischten Pläne der Hamburger Baubehörde wurde eine Studie lanciert, die das belegt. Zwei Forscher der Universität Stuttgart, Tilman Harlander und Gerd Kuhn, fanden für die Existenz des sozialen Ideals auch Gründe heraus. Titel der Studie ist ‚Soziale Durchmischung in der Stadt‘, die Untersuchung derselben in verschiedenen Ländern hat ergeben, dass die sozialstaatliche Tradition in unmittelbarem Zusammenhang mit der Segregation steht. Je schwächer diese Tradition ausgebildet ist, desto höher sind auch die Zäune zwischen Arm und Reich. Schirmen sich die Reichen in einem Land hingegen wenig von den Armen ab, kann das laut Forschermeinung als Zeichen für einen intakten Sozialstaat gedeutet werden. In Deutschland ist die Gettobildung der Reichen nur wenig ausgeprägt, anders als beispielsweise in Portugal oder Spanien. Als Extrembeispiel nennen die Forscher unseren östlichen Nachbarn Polen, in dessen Hauptstadt Warschau es alleine 400 Gated Communities gibt.

Abschottung auf die subtile Art

Bei uns in Deutschland schotten sich die Reichen eher auf subtile Art von ihren armen Landsmännern ab. Harlander und Kuhn fanden  bei den gut betuchten Deutschen diskrete bauliche Grenzmaßnahmen wie Bäume, Hecken, Schwellen, Wasserbecken oder Tore vor, die aber nicht weniger Distanz schaffen. Tilman Harlander beklagt die Situation des sozialen Wohnungsbaus und den Mangel an preiswertem Wohnraum. Die Quote an Sozialwohnungen sei in den vergangenen Jahren kontinuierlich auf heute 5 Prozent gesunken, sagt der Forscher. So sonderten sich die Reichen ab und die Armen würden abgesondert.

Lörrach lässt hoffen

Die Stuttgarter Forscher sind bei ihren Untersuchungen aber auch auf Positives gestoßen. In der süddeutschen Stadt Lörrach beispielsweise hatte es eine stigmatisierte Siedlung gegeben, die fast ausschließlich von Spätaussiedlern bewohnt wurde. Durch bauliche Maßnahmen und soziales Engagement der Stadt hat sich das grundlegend geändert. Das Areal wurde insgesamt aufgewertet und die eingesetzten Hausmeister fungierten als Sozialarbeiter, die für ein funktionierendes Miteinander sorgten. Nach erfolgreichem Abschluss dieses Projekts wagte Lörrach gleich ein weiteres Experiment der sozialen Durchmischung. Die Wohnbau Lörrach ging dabei ähnlich vor wie einst in der Gründerzeit James Hobrecht in Berlin. Auf billige Hochhäuser aus den 1960er Jahren wurden luxuriöse Penthouses gesetzt. In der Bevölkerung stieß diese Maßnahmen zunächst auf Skepsis, doch der Erfolg gab der Wohnungsbaugesellschaft am Ende Recht. Die teuren Wohnungen wurden gut angenommen und dank sozialpädagogischer Begleitmaßnahmen klappt das Zusammenleben gut. Und die soziale Durchmischung macht sich in diesem Fall sogar in barer Münze bemerkbar. Denn die Wohnbau Lörrach vermeldet, dass die gestiegene Attraktivität des Viertels in Verbindung mit vermindertem Vandalismus und geringeren Leerständen die Kosten des Projekts mehr als wettgemacht habe.