Die Teilmarkttheorie bei der Ermittlung der Enteignungsentschädigung

In der letzten Zeit hat sich zunehmend auch in der Rechtssprechung die Vorstellung verbreitet, dass es Teilmärkte des Grunderwerbes für bestimmte Vorhaben gibt, wenn auf der einen Seite der Vertragspartner ein besonderes Interesse an dem Geschäft hat. Dies kommt vor allem bei Verkehrsprojekten der öffentlichen Hand und bergrechtlichen Abbaumaßnahmen zum Tragen.

ICE

Otmar Luttmann / pixelio.de

Zum einen wird unterstellt, dass Verkehrsprojekte grundsätzlich, insbesondere dann, wenn bereits ein sofort vollziehbarer Planfeststellungsbeschluss besteht, eine unabänderbare Ortsgebundenheit des Grunderwerbes vorliegt, d.h. der Vorhabensträger muss an einer bestimmten geographischen Position eine Fläche erwerben, da er nur dort öffentliches Baurecht und damit auch entsprechendes Enteignungsrecht besitzt oder ein Bergrechtsinhaber muss eben an einer bestimmten geographischen Position eine Fläche erwerben, da nur dort sein Bergrecht besteht und das Bodenschatzvorkommen i.d.R. auch nur dort in einer sinnvollen Qualität existiert.

Diese Vorstellung korrespondiert mit der Praxis, da Vorhabensträger empirisch nachweisbar sogenannte Druck- bzw. Beschleunigungszuschläge bezahlen, um mit einer gewissen Leichtigkeit an die benötigten Flächen zu gelangen. Der Begriff Leichtigkeit hat in diesem Zusammenhang auch eine betriebswirtschaftliche Bedeutung, da in aller Regel diese Vorgehensweise letztlich für Vorhabensträger dennoch günstiger ist, weil sie so zeit- und kostenintensive Besitzeinweisungs- bzw. Enteignungsverfahren ersparen können.

Immerhin gibt es Sachverständigenkollegen, die Gutachten mit dem Tenor fertigen, es gäbe eine gesamtdeutsche Teilmarktsituation für derartige Projekte und diese müsse man mit Blick auf die Verkehrswertdefinition § 194 BauGB in ein Vergleichswertverfahren nach gültiger WertV einbringen. Es werden dann Vergleichsprojekte auf Ihre Wertabweichungen von dem gewöhnlichen Grundstücksverkehr statistisch untersucht, um letztlich einen Zuschlag zu ermitteln, der zum „normalen“ Verkehrswert hinzuzurechnen sei.

Diese Überlegungen sind höchst bedenklich, da der Steuerzahler, mit einer Art Preisbildungsspirale geschröpft würde, da zum einen Vorhabensträger dennoch zu dem bereits erhöhten „Verkehrswert“ Druckzuschläge mit dem Blick auf vorbezeichnete betriebswirtschaftliche Überlegungen bezahlen würden und zum anderen, weil daraus abgeleitet, Preisabweichungen vom gewöhnlichen Grundstücksmarkt stetig zunehmen würden.

Andererseits gibt es Gerichte, wie jüngst das LG Leipzig, die dieser Teilmarkttheorie dann folgen, wenn nachgewiesenermaßen der Vorhabensträger einen sogenannten Teilmarkt selbst durch seine Grunderwerbsaktivitäten initiiert hat. Dies ist ebenso unsachgerecht, da Sachverständige als auch Gutachterausschüsse, die der Logik der deutschen Wertermittlungsmethodik folgen, Kauffälle, die durch ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse eines Vertragspartners beeinflusst sind, ausscheiden müssen.

Die Wertermittlungsverordnung (WertV), welche nach wie vor in Deutschland die einzigen revisionssicheren Wertermittlungsverfahren vorgibt, kennt im Übrigen keinen Teilmarkt.

Zusammenfassend kann man sagen, dass sowohl enteignungsrechtlich als auch haushaltsrechtlich der „normale“ Verkehrswert Grundlage aller Grundstücksgeschäfte sein muss.

Die hin und wieder vorgebrachte Auffassung, dass derartige Grunderwerbe nicht frei sind von ungewöhnlichen oder persönlichen Verhältnissen auf der Seite des Erwerbers, ist sicher nicht von der Hand zu weisen, jedoch sollten ja gerade deshalb die Erwerber solcher Flächen ebenfalls dem gewöhnlichen Grundstücksmarkt folgen und sich nicht selbst in den Verdacht bringen, einen eigenen „Markt“ zu schaffen, auch auf die Gefahr hin, den einen oder anderen zusätzlichen Enteignungsfall zu produzieren. Vorhabensträger gehen allerdings i.d.R. den leichteren Weg und können gleichzeitig meist nicht nachweisen, dass der eigene bereits getätigte Grunderwerb nicht dem gewöhnlichen Grundstücksmarkt entspricht. Vereinfacht gesagt, machen sich Vorhabensträger somit den sprichwörtlichen Markt kaputt, was selbst Enteignungsbehörden und Gerichte vor Probleme stellt.

Richtungsweisend in diesem Zusammenhang war der Beschluss des BGH vom 19. Dezember 2002 – III ZR 41/02 – OLG Brandenburg, LG Neuruppin, in dem die Revision abgewiesen wurde, weil sich die Entschädigungsforderungen der Klägerin (Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben BVS) auf eine Teilmarktsituation berief. Der Senat verwies mit Recht auf die Verkehrswertdefinition § 194 BauGB in Verbindung mit der WertV und den enteignungsrechtlichen Grundsätzen nach BauGB und BBergG. Auf die bergrechtlichen Besonderheiten der neuen Bundesländer muss hier nicht weiter eingegangen werden.

Dennoch gibt es Projekte, wie bspw. das Schienenneubauprojekt ICE-Trasse Nürnberg – Ingolstadt – München, bei welchem politische Abreden den Teilmarkt sozusagen öffentlich legalisieren, da dort die Zerschneidung der ländlichen Struktur kompensiert werden soll, indem man den Landwirten entsprechende höhere finanzielle Mittel an die Hand gibt, um durch die Landverknappung zu höheren Preisen adäquates Ersatzland beschaffen zu können. Zumindest gibt es Klarheit darüber, dass diese Grunderwerbe von Gutachterausschüssen und Sachverständigen aus der Kaufpreissammlung, den Bodenrichtwertkarten und entsprechenden Vergleichswertermittlungen ausgeschieden werden und auf der anderen Seite die Vorhabensträgerin vereinbarungsgemäß Preise bezahlt, die mit dem gewöhnlichen Geschäftsverkehr nichts zu tun haben. Hier bleibt offen, ob der Steuerzahler dies hinnehmen wird und Enteignungsbehörden bei anderen Projekten Parallelen ziehen werden. Unbeachtet bleibt, dass regional begrenzt, ein äußerst problematischer Grundstücksmarkt zurückbleibt, der durch extreme Flächenknappheit und überhöhte Grundstückspreise in einem angespannten Wirtschaftszweig, der Landwirtschaft, gekennzeichnet ist.

Letztlich behaupte ich in diesem Zusammenhang, dass es keine Teilmärkte gibt, da Vorhabensträger keine Markteilnehmer sind. Sie entziehen dem Grundstücksmarkt lediglich Land aus einer öffentlich rechtlichen Position heraus. Ein Markt versteht sich durch Angebot und Annahme mit all sein Mechanismen. Ein Vorhabensträger ist auf eine Annahme aufgrund seines Enteignungsrechtes nicht angewiesen. Insofern kann nicht von einem Markt gesprochen werden. Wenn landespolitische Abreden vereinbarungslos den Bundeshaushalt verkürzen, wie im o.g. Beispiel, ist dies gleichfalls problematisch.

Der gewöhnliche Grundstücksmarkt kann die einzige Grundlage bei der Ermittlung des tatsächlichen Verkehrswertes sein. In diesem Zusammenhang verweise ich mit einem Zitat auf Aust, der es hätte treffender und einfacher nicht sagen können:“ der Enteignete darf durch die Enteignung nicht besser gestellt werden, als wenn er nicht enteignet worden wäre“. Dies trifft natürlich auf alle auch von der Enteignung bedrohten Betroffenen zu. Bedroht sind grundsätzlich alle Verfügungsberechtigten, deren Besitzrechte durch ein Planvorhaben beeinflusst sind.

Insofern kann die Korrespondenz zwischen dem Enteignungsrecht und dem Haushaltrecht, welche beide den Verkehrswert gem. § 194 BauGB als Entschädigungsbasis sehen, nicht aufgebrochen werden, da sonst Vorhabensträger in Enteignungsverfahren immer zur Haushaltsrechtsverletzung verpflichtet werden.

im September 2003

Matthias Kirchner