Das Ende einer Bausünde – Und ein Neuanfang
Mit großem Tamtam und überregionalem Medieninteresse wurde jüngst der Frankfurter Uni-Turm gesprengt. Ziemlich laut wurde damit das Schicksal einer ungeliebten Bausünde aus den 1970er Jahren besiegelt. Weder äußerlich noch in seinem Inneren konnte das Bauwerk durch architektonische Ästhetik beeindrucken, so wurde auch schon kurz nach seiner Fertigstellung von Studentenseite der Abriss gefordert. Die Nachkriegszeit, und vor allem die 1950er Jahre, sind für ihre Bausünden in den einst zerstörten Innenstädten bekannt. Anstatt die vermeintlichen Schandflecke dieser Zeit einfach auszuradieren, kann man aber auch andere Wege gehen. Das beweist der Architekt Matthias Solbach anhand eines Laborgebäudes, das nur etwa 50 Meter vom gesprengten Turm entfernt umgenutzt und erhalten wurde.
Der Elfenbeinturm und die Pharmazie
Das von den Studenten als Elfenbeinturm titulierte Bauwerk ist gestürzt, die sogenannte Pharmazie jedoch bleibt der Frankfurter Uni erhalten. Das Laborgebäude aus dem Jahr 1954 könnte ebenso gut als Bausünde abgetan und vernichtet werden wie der Turm, doch die Eigner hatten für die Pharmazie andere Pläne. Sie haben das Büro SSP SchürmannSpannel nämlich mit der Sanierung beauftragt. Der ausführende Architekt Matthias Solbach bezeichnet diese Lösung als ‚ein großes Stück günstiger als einen Neubau‘. Der Grund dafür sei vor allem die vorausschauende Planung der Bauherren in den 1950er Jahren. Denn die Pharmazie wurde damals vom Architekten Ferdinand Kramer in Skelettbauweise errichtet. Dadurch können beim heutigen Umbau die vorhandenen Räume mit wenig Aufwand baulich verändert werden. Das Gerüst aus Stahlbeton stützt die Decken des Laborgebäudes, die Konstruktion hat keine tragenden Wände. So konnten auch die Raumhöhen relativ einfach an die heutigen Anforderungen angepasst werden. Genau hier liegt bei Modernisierungsplänen oft die Krux. Die Raumhöhen der 1950er Jahre geben keinen doppelt verlegten Boden her, unter dem man beispielsweise Computerkabel verlegen könnte. Durch solche Maßnahmen würde man gegebenenfalls die gesetzlich vorgeschriebene Höhe unterschreiten.
Die Energiebilanz der neuen Pharmazie
Ein weiteres Problem bei Sanierungen von Bauten der Nachkriegszeit liegt oft in den Energieverbrauchswerten. Aber auch dafür hat SSP SchürmannSpannel bei der Pharmazie eine Lösung gefunden. Laut Aussage des Architekten Thomas Schmidt hatte das Büro von Anfang an das hehre Ziel, mit seinen Sanierungsmaßnahmen sogar Neubaustandard zu erreichen. Heute hat das Biodiversitäts- und Klima-Forschungszentrum in der alten Pharmazie nur noch den halben Energiebedarf. Dafür sorgen die Silikatplatten der Innendämmung, die neuen Holz-Alu-Fenster, das Gründach und die Wärmerückgewinnung in der Haustechnik. Die Senkung des Energiebedarfs um 50 Prozent gelang SSP SchürmannSpannel ohne den Denkmalschutz zu gefährden. Darunter fielen vor allem die vorgestellten Verschattungselemente aus Beton im Außenbereich des Gebäudes. Dieser ursprüngliche architektonische Charakter der alten Pharmazie blieb bei der erfolgreichen Modernisierung vollständig erhalten. Die neue Pharmazie, beziehungsweise das dort jetzt beheimatete Forschungszentrum, kann gegenüber einem alternativen Neubau ökologisch sogar Zeichen setzen. Hätte man das Gebäude nämlich abgerissen, wäre die Müllentsorgung des Bauschutts auf der negativen Seite der Energiebilanz aufgelaufen. Die alten Ziegel, welche für den Bau einst unter Einsatz von beträchtlichem Energieaufwand gebrannt worden waren, halten nach Meinung des Architekten Matthias Solbach noch 50 bis 80 weitere Jahre. Im Falle eines Abrisses hätte man diese stattdessen mit weiterem Energieaufwand entsorgen müssen. Betrachtet man die Energiebilanz eines Gebäudes über seinen gesamten Daseinszyklus hinweg, kann die sanierte Bausünde dem neuen Niedrigenergiehaus schnell mal den Rang ablaufen. Andererseits kann eine vernichtete Bausünde wie der Uni-Turm auch im Handumdrehen in eine Umweltsünde verwandelt werden. Denn immerhin 23 Prozent des gesamten Müllaufkommens von ganz Deutschland sind Abraum von Gebäuden. Noch schlimmer ist, dass dieser Abraum 57 Prozent des Mülls ausmacht, der überhaupt nicht mehr verwertbar ist.
Weg mit den vermeintlichen Bausünden?
Der Architekt Ferdinand Kramer, Planer und Erbauer der alten Pharmazie, wird heutzutage von einer wachsenden Fangemeinde wieder für seine Designleistungen geschätzt. Diese Wiederentdeckung eines gestalterischen Talents wäre ohne die Erhaltung seiner Bauten wohl kaum möglich. Zur guten Ökobilanz der heutigen Pharmazie hat der Architekt schon beim damaligen Bau vieles beigetragen. Ohne seine vorausschauende Planung und konstruktive Weitsicht wäre der moderne Umbau letztendlich vielleicht gar nicht möglich gewesen. Manch eine vermeintliche Bausünde der Nachkriegszeit könnte also schmerzlich vermisst werden, wenn sie erst einmal weg ist. Ein Umdenken hinsichtlich der Anschauung der Bauwerke aus dieser Epoche könnte einige Vorteile eröffnen. Sowohl ökologisch als auch historisch gesehen.